12. Tag des freien Berufsbetreuers
05.-06. November 2021
Redet mit uns und handelt für uns!
- Unterstützte Entscheidungsfindung - Alter Wein in neuen Schläuchen?
Die Unterstützte Entscheidungsfindung ist in aller Munde. Auf dem diesjährigen Tag des freien Berufsbetreuers fasste Annette Schnellenbach - Referatsleiterin Betreuungsrecht im BMJV - zunächst die Grundzüge der Reform zusammen und hob besonders die Bedeutung der Unterstützung bei der Entscheidungsfindung und das Registrierungsverfahren für Berufsbetreuer hervor. Dabei betonte sie das zentrale Anliegen des Gesetzgebers, das gesamte Betreuungsrecht - einschließlich der Rechtsaufsicht - noch stärker an den Wünschen der betreuten Personen auszurichten.
Auf dem Podium diskutierten in Anschluss Prof. Franz-Josef Wetz (Philosoph an der pädagogischen Hochschule Schwäbisch-Gmünd), Annette Loer (BMJV - Referat 1 A 6) und Walter Klitschka (Vorsitzender des BVfB) zusammen mit den Teilnehmern kontrovers über die Bedeutung der unterstützten Entscheidungsfindung.
Prof. Wetz machte auf einen Webfehler der Betreuungsrechtsreform aufmerksam. Die einseitige Orientierung des neuen Betreuungsrechts am Gedanken der Selbstbestimmung gehe zulasten der Fürsorge. Wer im Zeitalter der Inklusion gegensätzliche Begriffspaare, wie schön und hässlich oder schwach und stark verwende, mache sich heutzutage verdächtig, obwohl alle wüssten, dass es diese Unterschiede gibt und sie sich nicht wegdiskutieren lassen. Demgegenüber verteidigte Annette Loer das Anliegen des Gesetzgebers, betreute Menschen, in die Betreuungsführung eng einzubinden und Entscheidungen selbst treffen und umsetzen zu lassen. Im Verlauf der Diskussion wurden einmal mehr die gravierenden Unterschiede zwischen Theorie und Praxis deutlich. Viele, der von den rechtlichen Betreuern und den Behördenmitarbeiterinnen vollkommen zurecht angesprochenen praktischen Probleme können vom Gesetzeger nicht geregelt und allenfalls mittelbar beeinflusst werden. Lesen Sie hier das Referat von Prof. Dr. Wetz
Zu der emotional, aber durchweg sachlich geführten Diskussion meinte Walter Klitschka: „Auf dem Tag des freien Berufsbetreuers möchten wir mit unseren Gästen und Mitgliedern kontrovers diskutieren. Das bringt uns eher weiter, als Veranstaltungen, auf denen sich alle gegenseitig bestätigen. Leider stehen wir mit diesem Format im Betreuungswesen etwas alleine da; aber wir machen das nicht aus Prinzip, sondern aus tiefster Überzeugung. Besonders wichtig ist mir dabei, dass wir immer fair und respektvoll miteinander umgehen.“
Am Nachmittag stand neben der Bedeutung der Stellvertretung nach der Reform des Betreuungsrechts und dem Registrierungsverfahren für Berufsbetreuer erneut die unterstützte Entscheidungsfindung im Mittelpunkt der Diskussion. Reinhold Spanl - Dozent an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Rechtspfleger a.D. aus Bayern - erläuterte sehr verständig die Auswirkungen der Reform auf die Stellvertretung und gelangte zu dem Ergebnis, dass durch die Reform zwar Einiges auf den Punkt gebracht worden sei, im Grunde aber auch schon vorher gegolten habe. Eine Ausnahme stelle insoweit jedoch das neue Ehegattenvertretungsrecht in Gesundheitsangelegenheiten dar.
Klaus Bobisch - Geschäftsführer des BVfB - relativierte anschließend die Bedeutung der unterstützten Entscheidungsfindung für die rechtliche Betreuung. Wenn bereits im Vorfeld einer rechtlichen Betreuung Menschen mit einer Behinderung umfassend durch andere Hilfen und die Betreuungsbehörden unterstützt worden seien, bliebe für rechtliche Betreuer manchmal nur stellvertretendes Handeln als Unterstützungsform übrig. Hierdurch werde aber nicht zwangsläufig eine Entscheidung der betreuten Personen ersetzt, sondern in aller Regel deren Wunsch umgesetzt. Referat: Die Quadratur des Kreises
Am zweiten Tag der Veranstaltung widmeten sich Horst Deinert - Fachbuchautor aus Duisburg - und Walter Klitschka dem schwierigen Thema, wie die Aufgaben rechtlicher Betreuer klar abgegrenzt werden können. Horst Deinert konnte insoweit keine wesentlichen Änderungen durch die Reform ausmachen, wies aber nochmals sehr eindringlich auf das Verbot hin, zukünftig eine rechtliche Betreuung für sämtliche Angelegenheiten anzuordnen. Walter Klitschka stellte aus Sicht des Praktikers einige Problemfelder aus der Gesundheitssorge dar und erinnerte daran, dass rechtliche Betreuer häufig in die missliche Lage kämen, sich verpflichtet zu fühlen, mehr zu tun als sie müssten. In der anschließenden Diskussion zeigte sich, dass zukünftig eine flexible und einzelfallabhängige Beschreibung der Aufgabenbereiche möglich und sinnvoll ist. Diese kann - je nach der Lebenssituation der betreuten Peron - sehr eng oder weit erfolgen.
Referat: Horst Deinert - Aufgabenbereich-Aufgabenkreis und Referat: Walter Klitschka - Grenzen der rechtlichen Betreuung
Horst Deinert und Annette Loer erläuterten den Teilnehmern schließlich den Umgang mit „Altfällen“ und wiesen auf die Möglichkeit hin, in dem bis zu drei Monaten nach Einrichtung einer Betreuung einzureichenden Anfangsbericht auf Änderungen der Aufgabenbereiche hinzuwirken, die in diesem frühen Stadium einer rechtlichen Betreuung verfahrensrechtlich recht einfach umgesetzt werden können.
Der Journalist und Moderator Gerhard Schröder führte kompetent und mit der notwendigen Gelassenheit durch die Veranstaltung im Bildungszentrum Erkner, die in Präsenz mit insgesamt über 120 Teilnehmern stattfinden konnte und zugleich online angeboten wurde. „Im Nachhinein sind wir froh, dass wir den Mut hatten, eine Präsenzveranstaltung anzubieten. Natürlich war damit ein gewisses Risiko verbunden; aber wir haben alle gespürt, wie gut es uns getan hat, nach so langer Zeit wieder an einem Ort zusammenzukommen.“ äußerte sich Walter Klitschka am Rande der Veranstaltung.