8. Tag des freien Berufsbetreuers
Annette Schnellenbach, Referatsleiterin Betreuungsrecht im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, resümiert die Ergebnisse der ISG-Studie zur Qualität in der rechtlichen Betreuung. Eine zentrale Erkenntnis: „Bei der Auswahl der Betreuer fehlen Richtlinien und einheitliche Maßstäbe.“
Deshalb soll im Ministerium und mit Akteuren im Betreuungsbereich über die Einführung von Eignungs- und Zulassungsvoraussetzungen diskutiert werden.
Auch für Walter Klitschka, erster Vorsitzender vom BVfB e.V., ist der ungeregelte Berufszugang ein Problem, was aus seiner Sicht die Gewinnung von Nachwuchs erschwert.
Was hat das deutsche Betreuungsrecht mit Babylon zu tun? Alle haben ein Ziel, doch es gibt viele Missverständnisse, weil rechtliche Regelungen verschieden interpretiert werden und sich die Geister auch schon an einzelnen Begriffen scheiden, lautet die Antwort von Prof. Werner Bienwald.
So sind aus seiner Sicht zum Beispiel die Aufgabenkreise in der rechtlichen Betreuung im Großteil der Fälle viel zu global und pauschal formuliert. Deshalb lautet der Appell von Werner Bienwald: „Betreuer müssen die Erforderlichkeit selbst im Auge behalten.“ Was ein Betreuter alleine entscheiden kann, soll er selbst entscheiden. Zudem ist Betreuung laut Prof. Bienwald nicht generalisierbar, sondern muss sehr individuell betrachtet werden. So unterschiedlich die Menschen sind, so unterschiedlich sollten die Betreuer agieren.
Achim Kling, Richter am Amtsgericht Wedding und Mitglied der Landesgemeinschaft Betreuungsrecht, nennt verschiedene Aspekte, die für ihn Qualität in der Betreuung ausmachen und eine gute Zusammenarbeit ermöglichen. Zum Beispiel:
- Betreuer können das subjektive Befinden der Betreuten, wenn nötig, sachlichen Gegebenheiten unterordnen, etwa wenn eine dringend notwendige medizinische Behandlung gegen den Willen des Betreuten vorgenommen werden muss.
- Betreuer begründen Genehmigungsanträge nachvollziehbar und machen beispielsweise bei Anträgen auf eine Zwangsbehandlung konkrete Angaben zu geplanten Behandlungen (welche Medikamente, wieviel, welche Untersuchung, warum etc.).
- Betreuer lassen sich nicht zum verlängerten Arm von Ärzten machen und fragen im Zweifel kritisch nach.
- Betreuer geben Rückmeldungen auf Anfragen von Richtern und haben in Abwesenheit einen Anrufbeantworter geschaltet oder ein Faxgerät, dass genutzt werden kann, damit eventuelle Unklarheiten schnell geklärt werden können.
Außerdem würde nach Meinung von Achim Kling eine Zertifizierung des Betreuerberufs nicht unbedingt etwas über die Qualität eines Betreuers aussagen: „Ein glänzender Hochschulabsolvent kann nicht unbedingt auch mit Menschen umgehen.“
Ulrike Thielke vom Bund der Rechtspfleger Hamburg-Barmbek, die sich um 750 Betreuungsverfahren kümmert, beginnt ihren Vortrag mit ein wenig Ironie und sorgt für einige Lacher unter den Zuhörern: „Würde man einen Rechtspfleger nachmittags 16 Uhr, nach der Bearbeitung von 50 Vergütungsanträgen und zwei Verpflichtungsgesprächen, die viel zu lange gedauert haben, fragen, was einen guten Berufsbetreuer ausmacht, dann würde die Antwort wohl so ausfallen“:
Er macht seine Arbeiten so, dass ich möglichst wenig Arbeit habe. Er reicht gut lesbare Berichte ein, in denen alles Wichtige drinsteht, die aber nicht länger als anderthalb Seiten sind. Sie rufen nie an. Sie ersparen mir persönliche Anhörungstermine. Eingereichte Anträge sind bereits entscheidungsreif begründet. Sie halten Fristen ein. Ihre Rechnungslegung ist übersichtlich mit allen Belegen und orientiert sich an meinem Ordnungssystem. Sie beschweren sich nie.
Außer mit diesem Beitrag zum Schmunzeln konnte Ulrike Thielke mit vielen innovativen Veränderungsvorschlägen aufwarten. Mehr dazu im nächsten Beitrag …
Ulrike Thielke vom Bund der Rechtspfleger Hamburg-Barmbek schlägt mit Blick auf ihre tägliche Arbeit vor, dass das gesamte Verfahren an die Rechtspfleger übergeben wird und die Richter nur noch über Unterbringung, Zwangsbehandlung und Einwilligungsvorbehalt entscheiden.
- Wichtig wäre auch, dass Rechtspfleger auch Einblick in Akten zu anderen Betreuungen eines Betreuers erhielten. Thielke: „Rechtspfleger haben keinen vollständigen Eindruck von Berufsbetreuern, da sie nur die Sicht auf einen Betreuungsfall oder zwei Betreuungsfälle eines Betreuers haben.“ Dies wäre aber hilfreich, um etwa Missbrauch (Stichpunkt: Provisionszahlungen aus Vertragsabschlüssen) aufzudecken. In diesem Zusammenhang sollte laut Ulrike Thielke auch ein Anti-Korruptionssystem geschaffen werden.
- Genehmigungstatbestände für Vermögenssorge sollten aus Sicht von Ulrike Thiel reformiert werden, „damit nicht jeder Sofakauf genehmigt werden muss“. Ein neuer Genehmigungstatbestand Heimwechsel wäre hingegen sinnvoll, da dies ein sehr wesentlicher Eingriff in das Leben der Betreuten ist.
- Das Betreuungsrecht sollte autark neben dem Vormundschaftsrecht stehen.
- Angehörige die aus persönlichen Gründen eine Übernahme der Betreuung ablehnen oder eine Vollmacht zurückgeben, sollten nicht komplett aus dem Betreuungsverfahren rausfallen, sondern dennoch als Verfahrensbeteiligte mit einbezogen werden.
- Zudem sollte ein Beschwerdesystem geschaffen werden. „Ich finde es seltsam, dass sich kaum jemand beschwert. Möglicherweise gibt es eine Hemmschwelle beim Gericht anzurufen“, so Ulrike Thielke.
- Ulrike Thielke regt außerdem die Gründung von Arbeitsgruppen an, in der sich Akteure in der Betreuung (Rechtspfleger, Betreuer, Richter, Verfahrenspfleger) regelmäßig austauschen. In Hamburg gebe es zum Beispiel eine bezirkliche Runde zum Thema Qualität in der Betreuung. Dort wurde ein Musterbericht für Berufsbetreuer in Hamburg ausgearbeitet.
Laut Professor Doktor Peter Bräunig, Leiter der Departements seelische Gesundheit am Humboldt-Klinikum Reinickendorf und am Klinikum Spandau, sind 30 Prozent der eingelieferten Patienten ein Notfall.
Der Großteil davon (83 Prozent) stehe unter rechtlicher Betreuung.
Peter Bräunig sieht vor allem Probleme bei der Abstimmung zwischen Klinik und Betreuern und wünscht sich standardisierte Regelungen und Abläufe, wenn etwa die Unterbringung verlängert werden muss. So müsse klar sein, ob die Abstimmung zwischen Klinik und Betreuer oder Klinik und Gericht erfolgen müsse. Dies würde in jedem Betreuungsfall bisher unterschiedlich gehandhabt.
Zudem wünscht sich Peter Bräunig von den Betreuern, dass bestehende Vorbefunde der Betreuten und Gutachten vorgelegt werden. Allerdings sieht Prof. Dr. Peter Bräunig auch Versäumnisse aufseiten der Kliniken, besonders im Bereich Entlassungsmanagement (Entlassungsplanung, Medikamentenplan, Arztbrief). „Wir werden das Entlassungsmanagement jetzt bessern, weil es uns das Gesetz jetzt abfordert und nun auch die Personalressourcen da sind.“
Wir starten in den zweiten Tag der Tagung. Übrigens: Mit 130 Teilnehmern sind wir ausgebucht.
In drei Arbeitsgruppen wird jetzt über die Themen Zusammenarbeit mit Gerichten, über die Gesundheitssorge und die Zustimmung zu Behandlungen sowie die Frage, was Betreuer selbst entscheiden müssen, diskutiert.
In einer weiteren Gruppe wird über den Umgang mit Ämtern und Behörden gesprochen und gefragt, was liegt in der Eigenverantwortung der Betreuten oder sollte/könnte in dieser liegen und wann ist (unbedingt?) Unterstützung nötig?